Vortrag am 17.01.20 – Russland verstehen – die Deutsch-Russischen Beziehungen

Zum Jahresanfang hatte unser Verein wieder einmal zu einem Vortrag in die Stegmühle eingeladen.

Vorstand Wast Huber konnte als kundigen Referenten, unser Mitglied Oberst a.D. Reiner Haunreiter, begrüßen, sowie annähernd 50 interessierte Besucher.

Der Referent war Panzeroffizier und hat die Generalsstabsausbildung absolviert. Nach mehreren Auslandsverwendungen, unter anderem auch in Afghanistan, hatte er zuletzt fünf Jahre an der deutschen Botschaft in Moskau gedient, konnte dabei landesweit Reisen unternehmen und viele Eindrücke und Einsichten sammeln. Er war u.a. in Kaliningrad (vormals Königsberg), Workuta (einem Arbeitslager, aus dem 1955 die letzten deutschen Kriegsgefangenen heimkehrten), Wolgograd (ehemals Stalingrad) und im Nordkaukasus (Dagestan und Tschetschenien) bis Wladiwostok.

Nach einer knappen Stunde schloss Reiner Haunreiter seinen Vortrag. Die Zuhörer zeigten sich sehr beeindruckt von diesem, von den sonstigen Reiseberichten abweichenden Vortrag und dankten mit langanhaltendem Applaus.

Vorstand Wast Huber (rechts) konnte als kundigen Referenten, unser Mitglied Oberst a.D. Reiner Haunreiter, begrüßen, sowie annähernd 50 interessierte Besucher.

Eingangs zitierte der Referent einen bekannten Satz des russischen Dichters Tjuttschew, der gerne zitiert wird und 1866 schrieb: „Verstehen kann man Russland nicht, und auch nicht messen mit Verstand. Es hat sein eigenes Gesicht. Nur glauben kann man an das Land.“ Trotzdem gelte es, so der Vortragende, zu versuchen Russland (oder genauer gesagt die Russische Föderation) zu verstehen, um dann zu überlegen, wie man als Deutschland, Europäische Union oder NATO die Beziehungen zu diesem riesigen Land gestalten kann.

Russland ist immerhin ein Nachbarland in Europa, das 48 mal so groß wie Deutschland ist, in dem rund 100 verschiedene Völker leben und das 85 sogenannte Föderationssubjekte, u.a. 22 eigenständige Republiken sowie viele weitere mehr oder weniger autonome Städte oder Gebiete umfasst. Viele davon sind den Meisten in Deutschland kaum bekannt: Burjatien, Dagestand, Tatarstan,…. Anhand von einigen selbst erlebten und typischen Geschichten und mit zum Teil eindrucksvollen Bildern und Übersichten erläuterte der Referent den rund 50 Zuhörern drei Aspekte (Religion, Wirtschaft, Militär), die ihm besonders in den fünf Jahren auffielen und die helfen können, die Politik und zukünftige Entwicklung des Landes besser zu verstehen.

Russland ist ein tief religiös geprägtes Land, in dem neben der noch dominierenden russisch-orthodoxen Kirche vor allem der Islam eine zunehmend größere Rolle spielen wird. Während die Geburtenraten der ethnischen Russen niedrig, steigen die der muslimischen Bevölkerung vor allem im seit jeher unruhigen und instabilen Nordkaukasus stetig an. Und es ist zu erwarten, dass Moskau nicht nur finanziell große Anstrengungen unternehmen muss, um die daraus entstehenden Konflikte, die schon die Kriege in Tschetschenien in den neunziger Jahren andeuteten, zu regeln.

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Angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage wird dies nicht einfach werden. Eindrucksvoll und mit plastischen Beispielen sowie einem kleinen Film erläuterte der Referent die grundlegenden Probleme der staatsdominierten Wirtschaft, nämlich die fehlende Rechtssicherheit, die umfangreiche Bürokratie und die verbreitete Korruption. Zwar gibt es mittlerweile eine Mittelschicht und mittelständische Unternehmer. Diese sind gering an der Zahl, noch geringer an Einfluss und haben kein ernstes Interesse an der Politik, aber sie sind wie die große Teile Bevölkerung höchst patriotisch.

Überraschend für viele Zuhörer war die Tatsache, dass der offizielle russische Verteidigungshaushalt nicht viel höher als der von Frankreich ist und weit geringer als der aller NATO-Staaten zusammen. Der Referent stellte deutlich heraus, dass Russland seine Militärausgaben höchst effizient einsetzt und das die Motivation sowie fachliche Qualifikation der Soldaten und das Ansehen der Streitkräfte in der Gesellschaft hoch sind. Russland wäre heute nach Ansicht des Referenten nicht in der Lage, Westeuropa militärisch zu überrennen, wohl aber die baltischen Staaten. Und Russland hat die Fähigkeit, mit landgestützten nuklearfähigen Mittelstreckenraketen weite Teile von Mitteleuropa zu bedrohen. Krieg wollen weder die russische Führung unter Präsident Putin noch die Bevölkerung, doch wenn es zu einer militärischen Auseinandersetzung in Mitteleuropa käme, würde diese nach dem Willen Russlands nicht auf dem eigenen Territorium zu führen sein, sondern im geographischen Vorfeld. Der Referent hob hervor, dass seiner Einschätzung niemand in Moskau ein militärisches Risiko in Europa eingehen wird, so lange „der Kreml“ von der Funktionsfähigkeit und der Bündnissolidarität der NATO überzeugt ist.

Und damit kam der Referent zu der Frage, wie es mit den Beziehungen zu Russland weitergehen könnte. Er zitierte die eher pessimistische Sicht eines Beraters von Präsident Putin, der für Russland, das zwischen Europa und Asien liegt und zu keinem der beiden gehöre, eine selbstgewählte lange Isolation prognostiziert. Andererseits können Deutschland und die EU den Nachbarn Russland angesichts seiner Größe und seiner Ressourcen nicht ignorieren. Daher gilt es, sich mit diesem „Elefanten im Porzellanladen“ vor allem als EU einig und solidarisch zu arrangieren. Nach fast einer Stunde schloß Oberst Haunreiter seinen Vortrag und plädierte  mit einer Erinnerung an Franz Josef Strauß und seinen legendären Flug 1987 nach Moskau für Selbstbewusstsein im Umgang mit Russland.